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Polis
Im Jahr 2015 setzte die Plattform vTaiwan „Polis“ ein, um in einem demokratischen Prozess die Meinungen zur Markteinführung des Fahrdiensts UberX zu ermitteln.
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Wie Algorithmen den digitalen Diskurs verbessern können
Klimakrise, Kriege, Pandemien: Die Welt sieht sich mit großen Herausforderungen konfrontiert. In dieser Situation sollte die oberste Priorität eigentlich darin liegen, gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Doch die Realität zeigt stattdessen eine zunehmende Polarisierung und Fragmentierung – insbesondere in öffentlichen Auseinandersetzungen.
Die Eskalation dieser Dynamik manifestiert sich auch auf digitalen Kommunikations- und Informationsplattformen. Aus einem Bedürfnis nach Orientierung und eindeutigen Lösungen heraus entstehen häufig gegensätzliche und unvereinbare Standpunkte. Eine zentrale Rolle hierbei spielen Online-Plattformen.
Ein allgemeiner Zusammenhang zwischen Online-Plattformen und Polarisierung ist zwar noch umstritten. Doch gibt es immer mehr Studien, die belegen, dass Online-Plattformen in ausgewiesenen Fällen zu der Verbreitung von Fehlinformationen, Radikalisierung oder Aufruf zur Gewalt beigetragen haben.
Die Plattformen verstärken dadurch in vielen Fällen Polarisierung und Fragmentierung. Dabei könnten sie stattdessen auch mehr dazu beitragen, dass die Diskurse besser werden. Dass dies bisher noch nicht passiert, hat mit ihrer Funktionsweise zu tun.
Das Problem liegt insbesondere in den Empfehlungssystemen der großen Onlineplattformen. Sie basieren auf algorithmischen Systemen, sortieren die Inhalte auf den Plattformen und wählen aus, was den Nutzer:innen angezeigt wird.
Doch es geht auch anders. Die Empfehlungssysteme von Plattformen müssten nicht nur darauf ausgerichtet sein, die Interaktion mit Inhalten zu maximieren. Genauso könnten die Empfehlungssysteme auch andere Inhalte präferieren. Das heißt: Nicht die besonders reißerischen oder sensationellen Inhalte werden bevorzugt, sondern Inhalte, die eine ausgleichende Wirkung haben und konstruktive Auseinandersetzungen fördern.
Dafür müssen die Algorithmen so entwickelt sein, dass bei der Sortierung von Inhalten auch andere Kriterien berücksichtigt werden, zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit, dass unterschiedliche Gruppen Inhalten zustimmen. Nach diesem Grundsatz funktionieren das bzw. die Bridging-Algorithmen, die gegenseitiges Verständnis und produktive Auseinandersetzungen fördern.
Einer der ersten Ansätze, der weitere Anwendungen inspirierte, wird von „“ verfolgt, einem Projekt der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation „The Computational Democracy Project“. Im Mittelpunkt dieses Projektes steht die Visualisierung von Meinungsbildern in Diskussionen, um möglichst konsensfähige Debattenbeiträge zu identifizieren.
Konkret funktioniert das so:
Zu einem bestimmten Thema wird eine sogenannte „Konversation“ gestartet, an der (ausgewählte) Personen teilnehmen können. Ein Beispiel dafür ist das folgende Thema:
In vielen Großstädten in Deutschland sind Autos und andere Kraftfahrzeuge omnipräsent. Bei zunehmendem Individualverkehr sorgt das für Staus, Unfälle und überfüllte Innenstädte.
Zu diesem Thema verfassen Moderator:innen oder Teilnehmer:innen verschiedene Statements, die jeweils einen Standpunkt zum Ausdruck bringen. Teilnehmer:innen können dann über diese Statements abstimmen.
Bewerte dieses Statement
„“ ermittelt dann die Statements, die möglichst konsensfähig sind. Das heißt: Die Software bevorzugt solche Beiträge, bei denen möglichst viele Teilnehmer:innen eine gleiche oder ähnliche Position vertreten, die bei anderen Beiträgen unterschiedliche Meinungen haben. Das wird auch genannt.
Bei algorithmischen Empfehlungssystemen, die auf die Maximierung von Interaktion ausgerichtet sind – so wie aktuell bei vielen Onlineplattformen – sähe das Ergebnis nach dem sogenannten anders aus:
sind jedoch nicht in allen Situationen gleich effektiv einsetzbar.
Sie funktionieren besonders gut bei Fragestellungen, die offen formuliert sind und verschiedene Aussagen zulassen.
Weniger geeignet sind sie hingegen für Fragestellungen, die auf einfache Ja- oder Nein-Antworten abzielen oder eine Hierarchisierung oder Priorisierung erfordern.
Es ist wichtig, dass die gestellten Fragen oder Themen Raum für konstruktive Auseinandersetzungen bieten, d. h. die Teilnehmer:innen müssen tatsächlich am Standpunkt der anderen Seite interessiert sein. Themen, bei denen die Standpunkte bereits stark verhärtet sind, eigenen sich weniger gut.
Bridging-Algorithmen funktionieren nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis. Bei den folgenden Beispielen sind Rankingsysteme, die gegenseitiges Verständnis und konstruktive Auseinandersetzungen fördern, schon zum Einsatz gekommen.
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Im Jahr 2015 setzte die Plattform vTaiwan „Polis“ ein, um in einem demokratischen Prozess die Meinungen zur Markteinführung des Fahrdiensts UberX zu ermitteln.
Twitter/X
Mit „Kollektive Anmerkungen“ (engl.: „Community Notes“) hat X (ehemals Twitter) eine Funktion eingeführt, mit der Nutzer:innen gemeinsam Ergänzungen zu potenziell irreführenden Beiträgen verfassen können.
Polarisierung und Fragmentierung digitaler Diskurse stellen ein ernsthaftes Problem dar.
Große Onlineplattformen müssen inzwischen angesichts des gestiegenen politischen Drucks und gesetzlicher Vorgaben wie dem gezielter strafrechtlich gegen relevante Inhalte vorgehen. Doch muss auch die Funktionsweise und das Geschäftsmodell der Plattformen stärker in den Fokus rücken, um nicht nur die Symptome, sondern noch stärker die Wurzel des Problems anzupacken.
Die Recherchen zu Bridging-Algorithmen haben folgende Erkenntnisse ergeben:
Das tun sie, um die Verweildauer der Nutzer:innen und damit die Werbeeinnahmen zu steigern. Sie könnten die Algorithmen aber auch anders ausrichten, um mehr dazu beizutragen, digitale Diskurse zu verbessern. Eine Möglichkeit ist der Einsatz von Bridging-Algorithmen, die eine ausgleichende Wirkung haben und konstruktive Auseinandersetzungen fördern. Dass Bridging-Algorithmen nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis funktionieren, veranschaulichen die beiden Beispiele „Polis“ und „Kollektive Anmerkungen“.
In den von der Whistleblowerin Frances Haugen veröffentlichten „Facebook Papers“ finden sich Hinweise auf verschiedene Experimente, die das Unternehmen mit Bridging-Algorithmen durchgeführt hat. Das Ergebnis: Empfehlungssysteme, die die Zustimmung von Personen aus unterschiedlichen Gruppen stärker berücksichtigen, ermöglichen eine signifikant verbesserte Diskursqualität.
Meta beispielsweise hat die ersten Experimente bei Facebook bislang nicht weiter verfolgt. Der finanzielle Nachteil von Bridging-Algorithmen ist zu offensichtlich: Ihr Einsatz reduziert die Verweildauer auf den Plattformen und mindert damit die Werbeeinahmen.
Damit sich etwas ändert und Bridging-Algorithmen eine breitere Anwendung finden, sind vor allem drei Voraussetzungen nötig:
Wir brauchen mehr Evidenz darüber, welche Bridging-Kriterien sich wie auf die Diskursqualität auswirken. Das Aufkommen neuer Plattformen wie BlueSky, die es Nutzer:innen ermöglichen, die Empfehlungsalgorithmen frei zu wählen, bietet ein günstiges Zeitfenster, um Bridging-Algorithmen in der Praxis zu testen.
Plattformen müssen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stärker gerecht werden und bessere digitale Diskurse mithilfe ihrer Empfehlungssysteme ermöglichen. Dies erfordert keine vollständige Neuausrichtung, sondern lediglich die Ergänzung der bestehenden Empfehlungssysteme um Bridging-Kriterien, wie z.B. die Wahrscheinlichkeit, dass zwei unterschiedliche Meinungsgruppen denselben Inhalten oder Aussagen zustimmen.
Parallel dazu muss sich der öffentliche und politische Druck auf Onlineplattformen verstärken. Kommen die Anbieter ihrer gesellschaftlichen Verantwortung von selbst nicht nach, braucht es auch Regulierung, um Veränderungen herbeizuführen.
Das sind keine leichten Aufgaben. Doch es gilt, diese Auseinandersetzung zu führen. Denn Empfehlungsalgorithmen können ein wichtiger Hebel sein, um das Problem der Polarisierung im digitalen Raum wirksamer angehen zu können.
Ein anderer digitaler Diskurs ist möglich – und wäre essenziell für die Stärkung konstruktiver Diskurse weltweit.
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